Inhalt: Warum die Amerikaner keine militärische Bedrohung darstellen

Aktueller Text zum Thema vom Juli 2003

Auf einer DVD mit Zusammenschnitten über den 11. September las ich einst in etwa den Satz, dass noch nie soviele unschuldige Menschen in so kurzer Zeit brutal getötet wurden wie eben am 11. September. Diese Haltung entspricht wohl dem historischen Selbstverständnis der meisten Amerikaner: New York erhielt seinen "Ground Zero", einen Namen, der zuerst Hiroshima vergeben wurde, wo wohl in vergleichbar kurzer Zeit rund 100'000 Menschen brutal getötet wurden - notabene alles Unschuldige. Doch in den Augen der Amerikaner scheint jeder Nichtamerikaner grundsätzlich schuldig zu sein, weshalb sie sich auch ständig verteidigen müssen.

Einige Zahlen zum Irakkrieg:

Getötete amerikanische Soldaten
Getötete irakische Soldaten
Getötete irakische Zivilisten
über 1700 (Spiegel.de, 27. Juni 2005)
10000
über 12000 (Spiegel.de, 27. Juni 2005)
2520 (Juni 2006)
60'000 (Woz)
über 23000 (Iraqbodycount) (Juni 2005)

9000 (20 Min vom 30.10. 2003)
rund 100'000 (Tages Anzeiger vom 30.10.2004)
    über 20000 (Spiegel.de, 11.11.2003)
    38'000-43'000 (iraqbodycount)


650'000 zivile und militärische Opfer (offzielle US-Studie)

Jeder einzelne tote amerikanische Soldat stellt eine latente Gefährdung der amerikanischen Regierung dar. Denn amerikanische Soldaten sollen zwar erfolgreich Kriege gewinnen, aber bitte nicht fallen, da sonst die amerikanische Öffentlichkeit aufschreien könnte - wie z.B. geschehen in Somalia 1993.
Es erscheint als paradoxe Menschenfeindlichkeit des angeblich humanistisch-christlich geprägten Amerika: Tausende irakischer toter Soldaten zählen nichts, tausende tote irakische Zivilisten zählen ein wenig, einige tote amerikanische GIs jedoch können den Rückzug bedeuten. Und das auch in einem illegalen, von den UN nicht "gebilligten" Angriffskrieg, wo der Irak ein legitimes Recht auf Selbstverteidigung besitzt und der amerikanische Aussenminister Powell allen Ernstes den Russen vorwerfen kann, sie hätten Irak Waffen geliefert, was ein schwerwiegender Verstoss gegen UN-Sanktionen sei, denn schliesslich könnten mit diesen Waffen Amerikaner getötet werden... Wieviele US-Soldaten wurden wohl in all den Konflikten durch verkaufte amerikanische Waffen getötet? Vielleicht bräuchte das Land mit der weltweit höchsten Advokatendichte mal etwas Aufklärung darüber, was Recht bedeutet? Recht bedeutet nicht "ich bekomme, weil ich stärker bin oder weil ich genügend lüge und behaupte"... Vgl. dazu diesen Spiegelartikel - das Pentagon als Biowaffenhändler...

Die Amerikaner stellen keine militärische Bedrohung für die Welt dar. Trotz Hightechwaffen mussten sie sich aus Vietnam und Somalia zurückziehen, konnten sie vielleicht die Taliban und demnächst Saddam Hussein besiegen, doch handelt es sich vor allem bei den letzteren dreien um einige der militärisch schwächsten Staaten der Welt! Somalia besass keine richtige Zentralregierung, die Taliban waren militärisch schwach, der Irak seit 12 Jahren ausgehungert und von den Amerikanern völkerrechtswidrig ausgebombt. Der mutige George W. hat es nun also gewagt, diesen massiv geschwächten Irak völkerrechtswidrig anzugreifen - aus welchen Gründen auch immer - und bereits nach den ersten toten GIs sprach die Welt nur noch vom harzigen Vorwärtskommen der Alliierten, hagelte es Massenproteste und man empörte sich weltweit, auch in den USA über zivile Tote. Dabei wurde mit Sicherheit noch nie ein Krieg mit solch chirurgischer Präzision geführt wie dieser.
Amerika hat heute einige Probleme: spätestens seit Beginn des dritten Irakkrieges könnte man wohl eine Zweidrittel Mehrheit der Erdenbewohner kriegen für die Abschaffung Amerikas. Dem zu begegnen kennt die Bush-Administration nur ein Mittel: noch mehr Gewalt, noch mehr Einschüchterung und Drohung. Doch in Bagdad geht das Leben selbst während tagelanger Bombardements fast normal weiter, während Menschen in den USA ersticken, weil sie in sauerstoffdicht abgeklebten Räumen leben, um sich vor einem möglichen Biowaffenangriff zu schützen...
Und genau hier liegt das grösste Problem der Amerikaner: Sie fühlen sich als zuviel wert. Das heutige Amerika wird oft mit dem antiken Rom verglichen, doch der Vergleich hinkt. Cäsar und seine Nachfolger konnten Zehntausende Soldaten "verheizen" - den Römern schien das wenig auszumachen. Sobald jedoch die ersten GIs im irakischen Wüstensand umkamen, man von bedeutenden Mengen von unschuldigen getöteten Zivilisten hörte, geriet die amerikanische Militärführung in die Defensive. Stellt sich da nicht die Frage, ob die amerikanische Kriegsmaschinerie trotz allem Hightech eigentlich unglaublich schwach ist? Ein Krieg ohne Bodentruppen gegen ein gut gerüstetes Land ist nicht zu gewinnen. Kommen Bodentruppen zum Einsatz, wird es aber viele Opfer geben (ausser man hat das Land bereits seit 12 Jahren ausgeblutet und bombardiert wie schon erwähnt) und wird die amerikanische Zivilbevölkerung dies unterstützen? Immerhin scheint es der US-Regierung gelungen zu sein, die meisten Amerikaner überzeugt zu haben, dass Saddam Hussein direkt in die Anschläge vom 11. September verwickelt gewesen sein soll. Doch lässt sich dieses Muster noch unbegrenzt weiter anwenden? Auch wenn es fraglich ist, ob Amerika noch tatsächlich eine Demokratie darstellt, scheinen hier demokratische Mechanismen zu wirken, die beruhigend zu sein scheinen.

Nachtrag im Juli 2003
Die Schwäche der Amerikaner bestätigt sich immer mehr: Die amerikanischen Soldaten wurden für einen Blitzkrieg ausgebildet und müssen nun wohl während Monaten wenn nicht gar Jahren im Irak bleiben. Die Moral sinkt, die Soldaten sind nicht für ihre neue Rolle als Besatzungsmacht ausgebildet. Im Gegensatz zur früheren britischen Kolonialarmee besteht die amerikanische vorwiegend aus Familienvätern und -müttern, die ihren Militärdienst als eine Art Job anschauen. Dieser Job schien gut bezahlt, man kriegte eine gute Ausbildung und hoffte auf den sozialen Aufstieg.  Aber  kaum jemand rechnete mit einem langanhaltenden Aufenthalt in der nahöstlichen Sommerhitze. Und die Angehörigen zuhause rechneten mit weniger Toten - NOCH weniger, muss man fast sagen. Der wichtigste Grund, weshalb immer mehr Amerikanerinnen und Amerikaner unzufrieden sind mit Bushs Irakpolitik liegt gerade darin. Jeder amerikanische Familienvater, der stirbt wird die Moral der Truppe weiterhin senken - und Amerika wird kaum noch fähig sein, weitere Familienväter in unsichere Gebiete zu schicken. Ein Angriff auf ein weiteres Land der Achse des Bösen, der mit viel grösseren Risiken verbunden wäre als der Angriff auf den geschwächten Irak, scheint also in nächster Zukunft ausserhalb der amerikanischen Möglichkeiten zu liegen - nicht zuletzt auch weil sie sich diesen schlicht nicht mehr leisten können (Rekorddefizit) und über nicht mehr genügend Soldaten verfügen (geplante Einberufung der Nationalgarde ). Die Konsequenz? Iran und Nordkorea müssen so schnell als möglich die Atombombe kriegen, dann werden die USA auch auf längere Zeit kaum mehr zur Gefahr werden können. Auch nicht mit neuen Waffensystemen - die Atomwaffen müssen nur in bevölkerungsreichen Gebieten gelagert werden und ein raketengestützter Angriff ist selbst von amerikanischen Falken kaum noch vertreten.

Anmerkung: Im Juli 2003 sind 370000 der rund 491000 Heeressoldaten in 120 Ländern im Einsatz; von den 550000 Reservisten und Nationalgardisten - Zivilisten im Teilzeiteinsatz, die auch für Auslandmissionen rekrutiert werden können - sind knapp 140000 im Aktivdienst.

Anmerkung: Im September 2003: Ein interessanter Link - in 10 Kriegen "verloren" die Amerikaner weniger als 900 Soldaten!