Inhalt: Kriegstaktik
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Ausschnitt aus diesem Text

Während der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden mit der allgemeinen Einführung des Bajonetts die Pike und die gesamte Schutzrüstung der Infanterie endgültig beseitigt. Das Bajonett, das um 1640 in Frankreich erfunden wurde, brauchte 80 Jahre, um sich gegen die Pike durchzusetzen. Zuerst übernahmen die Österreicher das Bajonett für ihre gesamte Infanterie, als nächste die Preußen, während die Franzosen die Pike bis 1703 und die Russen bis 1721 beibehielten. Das Steinschloßgewehr, in Frankreich ungefähr um die gleiche Zeit wie das Bajonett erfunden, wurde ebenfalls vor 1700 allmählich bei den meisten Armeen eingeführt. Es verkürzte den Vorgang des Ladens wesentlich, schützte das Pulver auf der Pfanne einigermaßen vor dem Regen und trug deshalb sehr viel zur Abschaffung der Pike bei. Das Abfeuern ging jedoch immer noch so langsam vonstatten, daß ein Mann nicht mehr als 24 bis 36 Patronen in einer Schlacht verbrauchen konnte, bis in der zweiten Hälfte <33> dieser Periode verbesserte Reglements, bessere Ausbildung und weitere Verbesserung in der Konstruktion der Handfeuerwaffen (besonders der eiserne Ladestock, zuerst in Preußen eingeführt) den Soldaten befähigten, erheblich schneller zu feuern. Dadurch wurde erforderlich, die Tiefe der Formation noch weiter zu vermindern, und die Infanterie wurde nur noch 4 Glieder tief formiert. Aus den Kompanien der Grenadiere, die ursprünglich dazu bestimmt waren, vor dem Nahkampf Handgranaten zu werfen, aber bald darauf beschränkt wurden, nur mit der Muskete zu kämpfen, wurde eine Art Elite-Infanterie gebildet. In einigen deutschen Armeen wurden schon im Dreißigjährigen Krieg mit Büchsen ausgerüstete Schützen formiert. Die Büchse selbst war 1498 in Leipzig erfunden worden. Diese Waffe wurde nun neben der Muskete verwandt, wobei die besten Schützen jeder Kompanie damit ausgerüstet waren; außerhalb Deutschlands fand die Büchse jedoch nur wenig Anklang. Die Österreicher hatten eine Art leichte Infanterie, Panduren genannt; dies waren kroatische und serbische irreguläre Truppen der Militärgrenze gegen die Türkei, die wohl für Streifzüge und bei Verfolgungen nützlich waren, aber vom Standpunkt der Taktik jener Zeit und bei ihrem absoluten Mangel an militärischer Ausbildung in der Schlacht nutzlos waren. Die Franzosen und die Holländer schufen zu ähnlichen Zwecken eine irreguläre Infanterie, die sie compagnies franches nannten. Mit dem Wegfall der Panzer bei den Reitern wurde auch die Kavallerie in allen Armeen leichter. Die Kürassiere behielten nur den Brustharnisch und den Helm; in Frankreich und Schweden schaffte man auch den Brustharnisch ab. Die sich steigernde Wirksamkeit und Geschwindigkeit des Infanteriefeuers machte der Kavallerie sehr viel zu schaffen. Man erkannte bald, daß es für diese Waffengattung völlig nutzlos war, die Infanterie mit dem Säbel in der Hand anzugreifen, und die Ansicht von der Unüberwindlichkeit einer Feuerlinie wurde so vorherrschend, daß man auch die Kavallerie lehrte, sich mehr auf den Karabiner als auf den Säbel zu verlassen. So kam es zu jener Zeit häufig vor, daß zwei Kavallerielinien ebenso wie die Infanterie ein gegenseitiges Feuergefecht führten. Es wurde als sehr waghalsig angesehen, bis auf zwanzig Yard an den Feind heranzureiten, dann eine Salve abzufeuern und im Trab anzugreifen. Karl XII. jedoch blieb bei dem Grundsatz seines berühmten Vorfahren <Gustav Adolf>. Seine Kavallerie verlor keine Zeit, um zu feuern, sondern griff stets mit dem Säbel in der Hand an, was sich ihr entgegenstellte: Kavallerie, Infanterie, Batterien und Verschanzungen, und zwar immer mit Erfolg. Auch die Fran- <34> zosen durchbrachen das neue System und begannen wieder, sich nur auf den Säbel zu verlassen. Die Tiefe der Kavallerieformationen wurde noch weiter herabgesetzt, und zwar von 4 auf 3 Reiter. Die Artilleriegeschütze wurden jetzt leichter und die Verwendung von Kartuschen und Kartätschen allgemein. Eine weitere große Neuerung bedeutete die Einbeziehung der Artillerie in die Armee. Obgleich die Geschütze bis zu dieser Zeit dem Staat gehörten, waren die Männer, die sie bedienten, keine eigentlichen Soldaten, sondern bildeten eine Art Gilde, und die Artillerie wurde nicht als Waffengattung, sondern als Handwerk betrachtet. Ihre Vorgesetzten hatten keinen Rang in der Armee und wurden eher den Schneidermeistern oder Zimmerleuten gleichgestellt, als daß man sie als Gentlemen, die ein Offizierspatent in der Tasche trugen, ansah. Um diese Zeit jedoch wurde die Artillerie zu einem festen Bestandteil der Armee und in Kompanien und Bataillone eingeteilt; die Männer wurden reguläre Soldaten, und ihre Vorgesetzten bekamen ihren Rang wie die Offiziere der Infanterie und Kavallerie. Die durch diese Änderung hervorgerufene Zentralisation und Beständigkeit dieser Waffengattung bahnte den Weg für die Wissenschaft der Artillerie, die sich unter dem alten System nicht entwickeln konnte.
Der Übergang von der tiefen Formation zur Linie, von der Pike zur Muskete, von der Überlegenheit der Kavallerie zur Überlegenheit der Infanterie war so nach und nach vollendet worden, als Friedrich der Große seine Feldzüge und damit die klassische Ära der Lineartaktik begann. Er formierte seine Infanterie 3 Mann tief und ließ sie in einer Minute fünfmal feuern. Gleich in seiner ersten Schlacht bei Mollwitz marschierte diese Infanterie in Linie auf und schlug mit ihrem schnellen Feuer alle Angriffe der österreichischen Kavallerie zurück, die gerade die preußische Reiterei in die Flucht gejagt hatte. Nachdem die preußische Infanterie die Kavallerie der Österreicher erledigt hatte, griff sie die österreichische Infanterie an, besiegte sie und gewann so die Schlacht. Der Versuch, Karrees gegen die Kavallerie zu bilden, wurde in großen Schlachten nie unternommen, sondern nur dann, wenn die Infanterie auf dem Marsch von feindlicher Kavallerie überrascht wurde. War die Infanterie in einer Schlacht von der Kavallerie bedroht, formierten sich die äußersten Flügel der Infanterie en potence, und dies wurde allgemein als ausreichend befunden. Um den österreichischen Panduren wirksam zu begegnen, bildete Friedrich ähnliche irreguläre Truppen der Infanterie und Kavallerie, verließ sich aber in der Schlacht nie auf diese und setzte sie selten ein. Der langsame Vormarsch der ständig feuernden Linie entschied seine Schlachten. Die von seinem <35> Vorgänger <Friedrich Wilhelm I.> vernachlässigte Kavallerie wurde nun völlig revolutioniert. Sie wurde nur 2 Reiter tief formiert, und das Schießen war ihr, außer bei der Verfolgung des Feindes, streng untersagt. Der Reitkunst, der man bisher geringe Bedeutung beigemessen hatte, schenkte man nunmehr größte Aufmerksamkeit. Alle Bewegungen der Kavallerie mußten in vollem Galopp und dichten Reihen durchgeführt werden. Durch die von Seydlitz eingeführten Maßnahmen gewann die Kavallerie Friedrichs des Großen eine Überlegenheit gegenüber jeder anderen zu jener Zeit oder je vorher existierenden, und ihr kühnes Reiten, ihre feste Ordnung, ihr stürmischer Angriff und ihr schnelles Sammeln sind noch von keiner Kavallerie später erreicht worden. Die Artillerie wurde um so viel leichter, daß einige der schwerkalibrigen Geschütze nicht imstande waren, volle Ladungen auszuhalten, und deshalb nachher abgeschafft werden mußten. Die schwere Artillerie war jedoch infolge ihrer minderwertigen und schweren Lafetten und ihrer unvollkommenen Organisation noch sehr langsam und schwerfällig in ihren Bewegungen. In der Schlacht bezog sie sofort Stellung und wechselte manchmal nach vorn in eine zweite, aber ein Manövrieren gab es nicht. Die leichte Artillerie - Regimentsgeschütze, die der Infanterie zugeteilt waren - wurde vor die Infanterielinie, 50 Schritt vor den Zwischenräumen der Bataillone, placiert; sie rückte mit der Infanterie vor, wobei die Geschütze von den Männern gezogen wurden, und eröffnete das Feuer mit Kartätschen auf 300 Yard Entfernung. Die Anzahl der Geschütze war sehr groß, 3 bis 6 Kanonen auf 1.000 Mann.
Die Infanterie war ebenso wie die Kavallerie in Brigaden und Divisionen eingeteilt; aber da kaum manövriert wurde, nachdem die Schlacht einmal begonnen hatte, und jedes Bataillon auf seinem Platz in der Linie bleiben mußte, hatten diese Unterabteilungen keine taktische Bedeutung. Bei der Kavallerie mag ein Brigadegeneral während eines Angriffs hin und wieder vor der Notwendigkeit gestanden haben, auf eigene Verantwortung zu handeln, bei der Infanterie aber konnte ein solcher Fall nie eintreten. Diese Linienformation - Infanterie mit 2 Linien im Zentrum und Kavallerie mit 2 oder 3 Linien an den Flügeln - war ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der tiefen Formation früherer Zeiten. Durch sie entwickelte sich die volle Wirkung des Infanteriefeuers ebenso wie die des Angriffs der Kavallerie, indem sie zuließ, daß eine maximale Anzahl von Soldaten gleichzeitig wirkte; aber gerade die Vervollkommnung in dieser Hinsicht preßte die gesamte Armee gleichsam in eine Zwangsjacke. Jede Eskadron, jedes <36> Bataillon oder Geschütz hatte einen festen Platz in der Schlachtordnung, der nicht umgestoßen oder irgendwie verändert werden konnte, ohne daß die Wirksamkeit des Ganzen beeinträchtigt wurde. Es mußte deshalb auf dem Marsch alles so organisiert sein, daß jede Unterabteilung genau an die für sie vorgesehene Stelle kam, wenn sich die Armee zum Lagern oder zur Schlacht formierte. Alle durchzuführenden Manöver mußten daher mit der ganzen Armee vorgenommen werden. Da diese langsamen Truppen nur dafür geeignet waren, in Linie und in einer derart starren Schlachtordnung zu kämpfen, wäre es undurchführbar und falsch gewesen, einen einzelnen Teil für einen Flankenangriff abzutrennen oder eine besondere Reserve mit überlegenen Kräften für den Angriff auf eine schwache Stelle zu bilden. Zu der damaligen Zeit ging das Vorrücken in der Schlacht bei so langen Linien außerordentlich langsam vor sich, um die Frontlinie auf gleicher Höhe zu halten. Zelte wurden vom Troß ständig mitgeführt und jede Nacht aufgeschlagen. Das Lager war leicht verschanzt. Die Truppen wurden aus Magazinen verpflegt; die Feldbäckereien begleiteten die Armee so weit es irgend möglich war. Kurzum, die Bagage und der übrige Troß der Armee waren ungeheuer groß und behinderten ihre Bewegungen in einem heutzutage unvorstellbaren Maße. Trotz all dieser Nachteile war jedoch die militärische Organisation Friedrichs des Großen bei weitem die beste jener Zeit und wurde eifrig von allen anderen europäischen Regierungen übernommen. Die Rekrutierung der Streitkräfte wurde fast überall auf dem Wege der Freiwilligenwerbung, die oft von List und Gewalt begleitet war, durchgeführt. Erst nach sehr schweren Verlusten nahm Friedrich zu Zwangsaushebungen in seinen Provinzen Zuflucht.
Als der Koalitionskrieg gegen die Französische Republik begann, zählte die durch den Ausfall ihrer Offiziere desorganisierte französische Armee weniger als 150.000 Mann. Der Feind war zahlenmäßig weit stärker; deshalb wurden neue Aufgebote erforderlich, und diese wurden in einem riesigen Ausmaß aus nationalen Freiwilligen gebildet, von denen 1793 mindestens 500 Bataillone bestanden haben müssen. Diese Truppen waren nicht ausgebildet, und es war auch keine Zeit für eine Ausbildung, die dem komplizierten System der Lineartaktik und dem Grad der erforderlichen Vollkommenheit bei Bewegungen in Linie genügte. Obwohl die Franzosen jetzt zahlenmäßig weit überlegen waren, zog jeder Versuch, dem Feind in Linie zu begegnen, eine vollständige Niederlage nach sich. Ein neues taktisches System wurde unumgänglich. Die amerikanische Revolution hatte die Vorteile gezeigt, die man mit militärisch unausgebildete Truppen durch aufgelöste Ordnung und durch Tirailleurfeuer erzielen <37> konnte. Die Franzosen übernahmen dieses System und unterstützten die Tirailleure durch tiefe Kolonnen, bei denen eine kleine Unordnung weniger ins Gewicht fiel, solange die Masse gut zusammenblieb. In dieser Formation warfen sie ihre zahlenmäßig überlegenen Truppen gegen den Feind und waren im allgemeinen erfolgreich. Diese neue Formation und die mangelnde Erfahrung ihrer Truppen veranlaßte sie, auf unebenem Gelände, in Dörfern und Wäldern zu kämpfen, wo sie Schutz vor dem Feuer des Feindes fanden und wo dessen Linie immer wieder durcheinandergeriet. Da sie keine Zelte, Feldbäckereien etc. hatten, waren sie gezwungen, im Freien zu biwakieren und von dem zu leben, was das Land ihnen bot. Sie erreichten so eine bei ihren Feinden unbekannte Beweglichkeit, da diese durch Zelte und durch verschiedenartigsten Troß behindert waren. Als der Revolutionskrieg in Napoleon den Mann hervorgebracht hatte, der diese neue Methode der Kriegführung in ein reguläres System brachte und es mit dem kombinierte, was am alten System noch nützlich war, der auch die neue Methode sofort auf den Stand der Vollkommenheit brachte, die Friedrich der Lineartaktik gegeben hatte - da waren die Franzosen fast unbesiegbar, bis ihre Gegner von ihnen gelernt und ihre Armeen nach dem neuen Vorbild organisiert hatten. Die Hauptmerkmale dieses neuen Systems sind: Wiederherstellung des alten Prinzips, daß laut Gesetz jeder Bürger im Notfalle zur Verteidigung des Landes aufgerufen werden kann, und die sich daraus ergebende Bildung der Armee durch Zwangsaufgebote größeren oder kleineren Ausmaßes unter der gesamten Bevölkerung - eine Veränderung, durch die die zahlenmäßige Stärke der Armeen sofort auf das Dreifache des Durchschnitts zur Zeit Friedrichs erhöht wurde und im Notfalle noch weiter erhöht werden konnte. Dazu kam der Fortfall der Lagerutensilien sowie der Abhängigkeit von der Magazinverpflegung; das Biwak wurde eingeführt, und es setzte sich der Grundsatz durch, daß der Krieg den Krieg ernährt. Die Beweglichkeit und Selbständigkeit einer Armee wurde hierdurch ebenso erhöht wie ihre zahlenmäßige Stärke durch das Gesetz der allgemeinen Dienstpflicht. Bei der taktischen Organisation setzte sich das Prinzip durch, Infanterie, Kavallerie und Artillerie in den kleineren Einheiten einer Armee, in den Korps und den Divisionen, zu vereinen. So wurde jede Division zu einer vollständigen Armee kleineren Formats, fähig zum selbständigen Handeln und mit einer beachtlichen Widerstandskraft auch gegenüber einem zahlenmäßig überlegenen Feind. Die Schlachtordnung basierte nun auf der Kolonne; diese bildete das Reservoir, von dem die Schützen ausschwärmten und zu dem sie zurückkehrten. Die Kolonne war eine keilartige kompakte Masse, die gegen einen <38> besonderen Punkt der feindlichen Linie geworfen wurde; sie war die Form sich dem Feind zu nähern, sich dann zu entfalten und, falls das Gelände und der Stand des Gefechts es erforderlich machten, dem Feind Feuerlinien entgegenzustellen. Die gegenseitige Unterstützung der drei Waffengattungen entwickelte sich zu ihrer vollen Stärke durch ihr Zusammenwirken in kleinen Einheiten und durch die Kombination der drei Kampfarten; Schützenschwärme, Schützenlinie und Kolonne bildeten die große taktische Überlegenheit der modernen Armeen. Auf diese Weise wurde jedes Art Gelände zum Kampf geeignet, und zu den wichtigsten Eigenschaften eines Befehlshabers gehörte nun die Fähigkeit, schnell die Vor- und Nachteile des Geländes abzuschätzen und sofort seine Truppen zweckentsprechend einzusetzen. Nicht nur für den Oberbefehlshaber, sondern auch für die untergeordneten Offiziere waren jetzt diese Qualitäten und die allgemeine Befähigung zu selbständigem Kommando eine Notwendigkeit. Korps, Divisionen, Brigaden und Detachements wurden stets vor Situationen gestellt, bei denen ihre Kommandeure auf eigene Verantwortung handeln mußten. Das Schlachtfeld wies nicht mehr lange ununterbrochene Infanterielinien auf, die in einer weiten Ebene mit Kavallerie an den Flügeln aufgestellt waren, sondern einzelne Korps und Divisionen standen in Kolonnen massiert hinter Dörfern, Straßen oder Hügeln versteckt, voneinander durch ziemlich große Zwischenräume getrennt, während nur ein kleiner Teil der Truppen tatsächlich im Schützen- und Artilleriegefecht verwickelt war, bis der entscheidende Moment nahte. Die Schlachtlinien dehnten sich der Anzahl der Truppen und dem Charakter dieser Formation entsprechend aus; es war jetzt nicht nötig, jeden Zwischenraum mit einer dem Feind sichtbaren Linie auszufüllen, solange Truppen zur Hand waren, um aufzurücken, wenn erforderlich. Die Umgehung der Flanken wurde jetzt gewöhnlich zu einer strategischen Operation; die stärkere Armee schob sich völlig zwischen die schwächere und deren Verbindungslinien, so daß eine einzige Niederlage zur Vernichtung einer ganzen Armee führen und einen Feldzug entscheiden konnte. Es war das bevorzugte taktische Manöver, das Zentrum des Feindes mit frischen Truppen zu durchbrechen, sobald die Lage ergab, daß dieser seine letzten Reserven eingesetzt hatte. Waren Reserven in der Lineartaktik fehl am Platze und der Schlagkraft der Armee im entscheidenden Moment abträglich, so wurden sie jetzt das Hauptmittel, das eine Kampfhandlung entschied. Die Schlachtordnung dehnte sich in der Front und auch in der Tiefe aus: Von der Schützenlinie bis zur Position der Reserven betrug die Tiefe sehr oft 2 [engl.] Meilen und mehr. Kurzum, wenn das neue System auch weniger Drill und <39> Paradepedanterie erforderte, so verlangte es doch weit größere Schnelligkeit, Anstrengung und Intelligenz von jedem, vom höchsten Kommandeur ebenso wie vom einfachsten Schützen; jede seit Napoleon gemachte neue Verbesserung geht in dieser Richtung.
Die Veränderungen in der Ausrüstung der Armeen waren in dieser Zeit nur unwesentlich. Die ständigen Kriege ließen wenig Raum für solche Verbesserungen, deren Einführung Zeit erfordert. Zwei sehr wichtige Neuerungen vollzogen sich in der französischen Armee kurz vor der Revolution: die Einführung eines neuen Musketenmodells mit verringertem Kaliber und geringerem Spielraum, das außerdem einen geschweiften Kolben an Stelle des bisher gebräuchlichen geraden hatte. Diese sorgfältiger gearbeitete Waffe trug viel zur Überlegenheit der französischen Schützen bei und blieb das Modell, nach dem mit unwesentlichen Änderungen die Musketen aller Armeen bis zur Einführung des Perkussionsschlosses konstruiert waren. Die zweite Neuerung war die Vereinfachung und Verbesserung der Artillerie durch Gribeauval. Die französische Artillerie befand sich unter Ludwig XV. in einem völlig vernachlässigten Zustand; die Geschütze hatten alle möglichen Kaliber, die Lafetten waren altmodisch, und die Modelle, nach denen sie gebaut, waren nicht einmal einheitlich. Es gelang Gribeauval, der während des Siebenjährigen Krieges bei den Österreichern gedient und dort bessere Modelle gesehen hatte, die Anzahl der Kaliber zu vermindern, die Modelle zu vereinheitlichen und zu verbessern und so das ganze System erheblich zu vereinfachen. Es waren Gribeauvals Geschütze und Lafetten, mit denen Napoleon seine Kriege führte. Die englische Artillerie, die sich bei Ausbruch des Krieges mit Frankreich in äußerst schlechtem Zustand befand, wurde nach und nach, wenn auch langsam, wesentlich verbessert. So entstand die Blockschwanzlafette, die seitdem viele Armeen des Kontinents übernahmen, und auch die Einrichtung, die Fußartilleristen auf den Protzen und den Munitionswagen unterzubringen. Die von Friedrich dem Großen erstmals geschaffene reitende Artillerie wurde während der Zeit Napoleons besonders von ihm selbst gepflegt und ihre eigentliche Taktik überhaupt erst entwickelt. Nach Beendigung des Krieges stellte es sich heraus, daß die Briten in dieser Waffengattung am leistungsfähigsten waren. Von allen großen europäischen Armeen ist die österreichische die einzige, die an Stelle reitender Artillerie Batterien verwendet, bei denen die Männer auf dafür vorgesehenen Wagen sitzen.