Dies und

das

Erklärungsversuche für die Erfolge des Islamischen Staates

Irgendwann im Laufe des Jahres 2014 erreichte Westeuropa eine neue Art von Bildern aus dem syrischen Bürgerkrieg: bärtige Männer, welche mit vor Glück strahlenden Augen (Schirra 2015, S. 7) Leute enthaupteten, kreuzigten oder bei lebendigem Leib verbrannten; welche ganze Religionsgruppen verfolgten, folterten, versklavten, vergewaltigten, aushungerten oder gleich töteten; welche mit archaischen, barbarischen Mitteln Terror verbreiteten. Verantwortlich dafür zeichnete eine Gruppe mit dem Namen „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ – ISIS (heute nur noch IS, „Islamischer Staat“) – welche sich scheinbar unaufhaltsam in Syrien und später im Irak ausbreitete. Wo immer die Gruppe eintraf, wütete sie auf bestialische Art und Weise und veröffentlichte ihre Taten umgehend im Internet, unter anderem um so Widerstand abzuschrecken. Dies gelang oft genug – sogar die Millionenstadt Mosul wurde von den Soldaten der Irakischen Regierung nicht verteidigt. Die Soldaten flohen wohl auch aus Furcht davor, was ihnen bei einer Niederlage geschehen könnte.

Diese Schreckensbilder kontrastieren mit der offenbaren Beliebtheit des IS oder dessen Zielen in manchen Kreisen. In vielen arabischen Staaten bejubeln nicht wenige Menschen solche Bilder, viele sunnitische Geistliche sympathisieren offen mit dem IS. Gemäss einer Umfrage in Saudi-Arabien, unterstützt eine Mehrheit der Saudis die Ziele von IS (Schirra 2015, S. 170). In Ägypten sollen 82 Prozent der Muslime Steinigung von Ehebrecherinnen gutheissen, 77 Prozent es befürworten, Dieben die Hand abzuschlagen (Schirra 2015, S. 54).

Unterstützung des IS
Doch auch im „Westen“ stösst der IS auf Unterstützung. Junge Menschen aus aller Welt, nicht wenige aus Europa, ziehen nach Syrien, um für den IS zu kämpfen. Der IS wird zudem auch von nicht wenigen Menschen in den besetzten Gebieten unterstützt. So markierten beispielsweise Sunniten in Mossul Häuser von christlichen oder schiitischen Nachbarn, um dem IS, der am folgenden Tag in die Stadt einzog zu markieren, wo „der Feind“ wohnte (ein Vorgehen, das sich allerdings in vielen Bürgerkriegen findet). Wohl nicht wenigen Menschen geht es unter der Herrschaft des IS besser als vorher- und sie tolerieren zumindests die Gräueltaten, die vorwiegend Menschen treffen, die einer Minderheit angehören und die für die despotische Herrschaft unter dem Schiit al Maliki im Irak verantwortlich gemacht werden.

Es ist aus aufgeklärt-westlicher Perspektive kaum nachvollziehbar, warum der IS so erfolgreich werden konnte und insbesondere, wie jemand einer solchen Terrorgruppe Sympathien entgegenbringen kann. Es sollte allerdings nicht vergessen gehen, dass sich etwas ganz Ähnliches vor nur gut 50 Jahren in Europa abgespielt hat: sowohl Sozialismus als auch Faschismus wurden von sehr vielen Menschen teilweise frenetisch unterstützt, obwohl sie für Millionen von Toten, für Folter, Leid und Terror verantwortlich waren.

Wichtig für das Verständnis der Unterstützung des IS ist es, dass der Terror für manche Menschen gerechtfertigt erscheint aus Rache für zuvor erlittenes Unheil. Im Irak hatten die Suniten bis 2003 über Schiiten geherrscht, danach die Schiiten über die Sunniten – und in beiden Fällen gehörten Gewalt und Willkür zum Alltag. In Syrien herrschte eine schiitische (alewitische) Minderheit über eine Mehrheit von Sunniten, wobei sunnitischer, insbesondere islamistischer Widerstand mit gnadenloser Härte unterdrückt wurde. Der IS geht vor allem gegen Minderheiten (und Abweichler) vor und schafft so „ethnisch reine“ Gebiete, etwas, was leider in den meisten Bürgerkriegen vorkommt.

Es gibt aber noch viele weitere Gründe für die Beliebtheit des IS.


Der arabische Frühling

Der Nahe Osten wie auch die nordafrikanischen Maghreb-Staaten litten jahrzehntelang unter despotischen Herrschaften, die zumeist durch den Westen unterstützt wurden. 2003 wurde der erste dieser Despoten durch die USA gestürzt. Doch statt der versprochenen Demokratie nach dem Sturz von Saddam Hussein, versank das Land in Bürgerkrieg und Chaos. Im Dezember 2010 ergab sich dann die Hoffnung, dass sich die Demokratie doch noch in den arabischen Staaten durchsetzen könnte: in Tunesien führten Proteste zum Sturz des Diktatoren Ben Ali. Mit diesem Ereignis begann der sogenannte „arabische Frühling“, der viele Menschen auf das Ende der Diktaturen und eine Verbesserung der Lebensumstände hoffen liess. Doch die Lage hat sich seither kaum – wenn überhaupt – verbessert. Tunesien hat sich als einziger Staat politisch etwas stabilisiert, doch sieht es wirtschaftlich miserabel aus. Libyen droht nach dem Fall Gaddafis im Chaos zu versinken und ein „failed state“ zu werden. In Ägypten wurde die demokratisch gewählte islamistische Regierung unter Präsident Mursi wieder weggeputscht. Und in Syrien ist ein schrecklicher Bürgerkrieg ausgebrochen, der inzwischen über 11 Millionen Flüchtlinge hervorgebracht hat.

Das Kalifat
Im Irak und in Syrien hat sich inzwischen der Islamische Staat breit gemacht und nach eigenen Angaben ein „Kalifat“ errichtet. Dieser Begriff referiert auf das islamische Weltreich, das für viele (vor allem sunnitische) Muslime eine starke mythische Faszination hat: Jahrzehntelang lebte man unter zumindest indirekter Fremdherrschaft und es gab kaum Entwicklung. So anders soll es zur Zeit des Kalifats vor rund 1000 Jahren gewesen sein. Damals blühte der Islam, weshalb diese Vorstellung für viele Muslime eine grosse Anziehungskraft hat. Weg von den Despoten, hin zur Wiedererrichtung eines muslimisch geprägten Grossreiches. In diesem Kalifat soll auch wieder die Scharia gelten, das „göttliche Recht“, das nebst vielen ganz „normalen“ Regeln auch das Handabhacken bei Diebstahl oder die Steinigung von Frauen bei Ehebruch vorsieht. Und der erste Schritt zur Errichtung eines solchen Kalifats scheint durch den IS gelegt worden zu sein.

Der Bürgerkrieg in Syrien
Und der IS kann durchaus Erfolge vorweisen. So zeichnet er sich auf der einen Seite zwar durch gnadenlose Brutalität aus, wie sie sich allerdings in nicht unähnlicher Form in vielen Bürgerkriegen zeigt. Verändert hat sich wohl weniger die Brutalität gegen Menschen mit einer anderen Konfession oder Religion (dies gehört schon fast zu einem Bürgerkrieg), sondern der Umgang mit den Medien. Die Schreckenstaten wurden und werden vom IS offensiv in den Medien propagiert, um so strategische Vorteile zu erlangen. Vor allem Übergriffe gegen Schiiten werden aber auch von manchen Sunniten im Irak und Syrien als durchaus gerechtfertigt gesehen: schliesslich lebten sie in Syrien seit Jahrzehnten unter einer schiitischen Herrschaft; sahen sich die Sunniten im Irak seit der amerikanischen Invasion von 2003 durch Schiiten benachteiligt.

„Der Zweck der Propaganda bleibt stets der gleiche: unter den Feinden Angst zu verbreiten und potenzielle Anhänger zu bekehren. „Was ich fühlte, als ich sah, wie diese Typen mit den Köpfen von schiitischen irakischen Soldaten und Polizisten Fußballspielten? Ich hatte das Gefühl, dass endlich Gerechtigkeit geschaffen worden ist“, sagte ein Sunnit, den ich interviewte.“ Napoleoni 2015, S. 66.

Protostaatlicher Aufbau
Auf der anderen Seite hat der IS aber auch protostaatliche (vorstaatliche) Strukturen aufgebaut. Der IS organisiert in den von ihm eroberten Gebieten Armenküchen, Gesundheits- und Wohlfahrtsprogramme, Schulen und Spitäler, Strassen werden ausgebessert, die Wasser- und Stromversorgung sichergestellt, Nahrungsmittel und Treibstoff organisiert, ein Justizsystem wurde aufgebaut, eine eigene Währung und ein Postsystem eingeführt, der IS verfügt über eine eigene Armee und eine eigene Flagge etc.

Zur Finanzierung werden Steuern erhoben, respektive Schutzgelder eingezogen. Der IS handelt zudem unter anderem mit Rohstoffen, hat Banken ausgeplündert, ist verwickelt in Schmuggel und hat potente Geldgeber aus der arabischen Halbinsel. Finanziell ist er offenbar so gut aufgestellt wie bislang noch keine islamistisch-terroristische Gruppierung.

Zu diesem staatsähnlichen Aufbau gehört aber auch das Durchsetzen der Scharia. So ist es Frauen im Allgemeinen verboten, das Haus zu verlassen und wenn, dann nur in Kleidern, an denen „Gott gefallen finde“. Diebstahl wird mit Handabschlagen bestraft, Ehebruch mit Steinigung, Alkohol, Rauchen und Drogen sind wie das Tragen von Waffen strikt verboten. Für viele Menschen sind zumindest manche dieser Regeln und Strafen durchaus nachvollziehbar: sie sind ein Gegenentwurf zum „lasterhaften“ westlichen Leben und sollen zu einem tugendhafteren, „gottgefälligen“ Leben führen. Die harten Strafen sollen als Abschreckung dienen und sollten ja nur bei fehlerhaftem Handeln angewandt werden. Es ist allerdings sehr schwer zu beurteilen, wie gross der Widerstand gegen die Scharia ist, da diese ja aufgezwungen wird. Wie aber weiter oben schon erwähnt wurde, sollen rund 80 Prozent der Ägypter zumindest die harten Strafen der Scharia befürworten.

Die Anziehungskraft des IS auf manche Menschen auch im Westen
Während im Westen vor allem die schockierenden Bilder Angst vor dem IS geschürt haben, sieht dies für manche Muslime ganz anders aus. Sie sehen in den Erfolgen des IS den Beginn der „nahda“, den Beginn eines Erwachens der Islamischen Welt, den Beginn einer Renaissance, einer arabischen „Modernisierung“. Sie sehen die Erfolge als Zeichen Allahs, dass dieser endlich die Muslime wieder unterstützt, die in den letzten Jahren immer stärker unter die Räder vor allem des Westens gekommen sind. Es fragt sich allerdings, ob der IS seinen Zenit im Februar 2015 nicht bereits überschritten hat, da er sich immer mehr auf dem Rückzug zu befinden scheint. Entschieden ist dabei aber längst noch nichts.

Der IS orientiert sich als islamistische Gruppierung an Koran und an der Sunna: Das Kalifat soll nach Regeln aufgebaut werden, die im Koran stehen oder die sich am Leben Mohammeds orientieren. Es sollen im Kalifat also im Jahr 2015 Regeln gelten, wie sie für Stammesgesellschaften im 7./8. Jahrhundert gegolten haben. Ein Vorhaben, das aus aufklärerisch-westlicher Sicht völlig absurd ist. Es hat aber auf viele junge Menschen eine grosse Anziehungskraft.

Gerade orientierungslosen jungen Männern mit wenig Perspektiven können solche Regeln einen Halt geben. Es existiert ein klares „gut-böse“ Schema, wobei man sich selbst natürlich als zu den „Guten“ gehörig sieht: man verteidigt schliesslich den Islam gegen den Westen, die Sunniten gegen die Schiiten etc. Zudem scheint Ehre ein wichtiger Wert zu sein, können sich diese meist jungen Männer ihre Männlichkeit beweisen. Man kämpft für Recht und Ordnung, wendet sich gegen den westlichen Materialismus und die „Sündhaftigkeit“ und „Dekadenz“ des Westens. Und sollte man im Kampf sterben, werden einem als Märtyrer erstaunlich irdische Freuden im Paradies versprochen, die einem in diesem Leben verwehrt geblieben sind. Also quasi eine „Win-Win-Situation“.

Weblink: Islamismus: Sie werden zu heroischen Kriegern hochstilisiert (derstandard.at)

„“Schaut euch Ägypten an. Schaut euch an, wie es für Muslime endete, nachdem sie [den entmachteten Präsidenten, Anm. d.A.] Mohammed Mursi gewählt und an eure Demokratie geglaubt hatten, an eure Lügen. Die Demokratie existiert nicht, Glaubt ihr etwa, ihr sei frei?“, prahlte ein Anhänger des Islamischen Staates gegenüber der italienischen Journalistin Francesca Borri. „Der Westen wird von Banken regiert, nicht von euren Parlamenten, und ihr wisst es. Ihr wisst, dass ihr lediglich Marionetten seid, aber euch fehlt der Mut. Ihr denkt nur deswegen an euch selbst, an euren Job, euer Haus…, weil ihr keine Macht habt. Doch zum Glück hat der Dschihad begonnen. Der Islam wird zu euch kommen und euch Freiheit bringen.““ Napoleoni 2014, S. 62.

Reaktion gegen die Moderne
Diese Abgrenzung gegenüber der Moderne, gegenüber dem Westen ist denn auch zentral für das Verständnis dessen, was momentan in der arabischen Welt geschieht. Mit dem Kalifat steht vielen Muslimen heute eine Utopie zur Verfügung, welche erreichbar zu sein scheint. Dabei wird die Zeit des ursprünglichen Kalifats natürlich mythisch überhöht und schon beinahe als „Paradies auf Erden“ ausgeschmückt. Doch auch wenn mit dem Kalifat nicht das Paradies ausbrechen sollte, glauben viele Menschen daran, dass sich damit ihre Lage verbessern wird.
Dies hat wesentlich mit der Enttäuschung über den Westen zu tun, der die arabischen Gebiete seit weit über hundert Jahren faktisch beherrscht hat. Wie schon bei der Dekolonisation geht es vor allem um Unabhängigkeit von der beherrschenden Macht, egal, ob es sich dabei um eine Kolonialmacht oder um eine indirekt herrschende Macht geht. Es handelt sich beim Islamismus ganz wesentlich auch um eine Unabhängigkeitsbewegung. Orientierten sich solche während der Zeit des Kalten Kriegs vor allem am Sozialismus, scheint nun der Islamismus an dessen Stelle getreten zu sein.

Ist der Islamismus faschistisch?
Der Islamische Staat erinnert aber nicht primär an den Sozialismus, mit dem er wesentlich das utopische Ziel teilt, sondern vor allem an den Faschismus. Faschismusvergleiche sind meist problematisch, da eine zeitlang einfach jedes „nichtlinke“ System als Faschismus bezeichnet wurde. Beim Islamischen Staat scheint der Vergleich aber durchaus begründet zu sein. Der Faschismus zeichnet sich insbesondere durch einen sozialdarwinistisch begründeten Nationalismus aus. Beim Islamismus des Islamischen Staates geht es um einen religiös begründeten „Konfessionalismus“, der strukturell wohl vergleichbar ist mit dem Nationalismus. Wie beim Faschismus geht es dem Islamismus letztlich um das Ziel der Weltherrschaft der eigenen Gruppe (des sunnitischen Islam). Es geht um die Vorherrschaft der „umma“, der Islamischen Gemeinschaft. Als Feindbild dient dabei nicht nur die westliche Moderne, sondern vor allem auch das Judentum, dem in alter faschistischer Manier der versuchte Griff zur Weltmacht unterstellt wird. Diesen gelte es zu verhindern.

Um das Ziel der Weltherrschaft oder zumindest zu erreichen, werden alle Register gezogen, scheinen alle Mittel erlaubt zu sein, auch die „Verstellung“, ebenfalls ein typisches Merkmal für den Faschismus. Auffallend ist auch die Unmenschlichkeit mit welcher in beiden System gegen Gegner vorgegangen wird. Gegner werden regelrecht nicht mehr als Menschen betrachtet, weshalb mit ihnen auch wie mit (Schlacht-)Tieren umgegangen wird. Im Dienste der Ideologie scheinen solche Gräueltaten gerechtfertigt, ja sogar geboten zu sein. Während im Faschismus diese Gefühlskälte gerne mit der Notwendigkeit, den Kampf ums Dasein zwischen Rassen zu gewinnen begründet wurde, sind Islamisten der Überzeugung, Gottes Willen zu erfüllen. Im Faschismus sollte die „beste“ (also stets die eigene) Rasse die Welt beherrschen, im Islamismus Gottes „Volk“, respektive Religion, wobei auch hier natürlich nur die eigene Religion gemeint ist. In beiden Systemen haben zudem Männlichkeitsrituale und Abschreckung einen enormen Stellenwert und beide Systeme sind totalitär. Sie versuchen die Menschen, insbesondere auch deren Handlungen und Denken möglichst total zu kontrollieren, was nicht zuletzt durch eine ausgeklügelte Propagandamaschinerie geschieht.

Der Islamismus, zu dem auch der IS gezählt werden muss, hat auch wie der Faschismus eine nicht zu unterschätzende Breitenwirkung. Sein Einfluss vor allem in den arabischen Staaten ist heute sehr gross und seine „Finger“ reichen längst bis nach Europa und in andere Weltgegenden. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Muslimbrüder, der Salafismus und der Wahhabismus, welche gut organisiert sind und den Dschihad weiter vorantreiben, radikale Formen des Islam immer weiter verbreiten. Es gibt also gute Gründe, um von einem „islamischen Faschismus“ zu reden, wie ein Buchtitel von Hamed Abdel-Samad lautet („Der Islamische Faschismus“).

Ist der Islamismus islamisch?
Anfang Februar 2015 veröffentlichte der IS Bilder, wie ein gefangen genommener jordanischer Kampfflugpilot bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Die Bilder führten zu einem (wenn auch nicht allzu lauten) Aufschrei in der muslimischen Welt. Der Hintergrund dafür, war aber tragisch: Enthauptungen, Folter, Versklavung von Ungläubigen etc.? Gegen all dies wurde nicht protestiert – da es mit Koran und Sunna übereinstimmt. Die Verbrennung bei lebendigem Leib ist aber weder im Koran noch in den Hadithen (welche die Sunna, die Überlieferung über das „vorbildliche“ Leben Mohammeds enthalten) nicht vorgesehen. Der Aufschrei wandte sich also nicht gegen die Unmenschlichkeit der Massnahmen des IS, gegen die Verbrennung bei lebendigem Leib, sondern vor allem dagegen, dass Verbrennen nicht mit Koran und Sunna vereinbar waren.

Weblink: arabischer Widerstand gegen den IS (tagi.ch, 3.2.2015)

Dieses Beispiel zeigt sehr drastisch, dass der Islamismus seine Wurzeln im Islam hat und es den Islamismus in dieser Form ohne Islam nicht gäbe. Auch wenn sicher weit über 90 Prozent der Muslime friedliche Menschen sind, die sich niemals dem Islamismus anschliessen würden, lässt sich mit Koran und Sunna die Gewalt insbesondere gegen Ungläubige leicht rechtfertigen. Ja, es lässt sich sogar argumentieren, dass die Muslime die Pflicht hätten, gegen Ungläubige vorzugehen, da dies so im Koran stehe.

Fazit
Ist der Islamismus faschistisch und steht vor dem Versuch, die Weltherrschaft zu übernehmen? Oder handelt es sich um eine spezielle Form der Dekolonisation, wie sie sich im Kalten Krieg dutzendfach ereignet hat? Zurzeit ist dies schwierig abzuschätzen, vermutlich enthält der Islamismus beide Elemente. Auffallend ist bislang (Februar 2015), dass sich die Gewaltakte fast ausschliesslich auf das „eigene“ Gebiet beschränken. Durch Islamisten ausgeführte Terroranschläge ausserhalb des Nahen Ostens sind bislang seltene Ereignisse geblieben. Die Gewalt richtet sich grösstenteils gegen Menschen in der eigenen Region oder gegen Ausländer, welche sich in der Konfliktregion aufhalten. Dies deutet eigentlich relativ klar auf einen Dekolonisations-, respektive Bürgerkrieg hin, der allerdings vermischt wird mit einer Ideologie, welche den Anspruch auf Weltherrschaft hat. Dies war allerdings bei den Dekolonisationskämpfen im Kalten Krieg nicht wesentlich anders: denn auch dort wurden diese Konflikte meist mit dem Ziel des weltweiten Kommunismus verschränkt. Und auch dafür wurde weltweit gekämpft, auch unter dem Deckmantel des Kommunismus kam es zu weltweiten Terroranschlägen.


Literatur zum Thema

  • Abdel-Samad, Hamed. 2014. Der islamische Faschismus: Eine Analyse. Droemer HC.
  • Bender, Larissa (Hg.). 2014. Innenansichten aus Syrien. 1. Aufl. Edition Faust. 
  • Bobzin, Hartmut. 2007. Der Koran: Eine Einführung. 7. Aufl. C.H.Beck.
  • Buchta, Wilfried. 2004. Schiiten. 1. Aufl. Diederichs.
  • Corm, Georges. 2004. Missverständnis Orient. Die islamische Kultur und Europa. 1. Aufl. Rotpunktverlag, Zürich.
  • Esposito, John L. 2004. Von Kopftuch bis Scharia. Was man über den Islam wissen sollte. 1. Aufl. Reclam, Leipzig.
  • Flores, Alexander. 2003. Die arabische Welt. Ein kleines Sachlexikon. Reclam, Ditzingen.
  • Halm, Heinz. 2007. Der Islam: Geschichte und Gegenwart. 7. Aufl. Beck C. H.
  • Heine, Peter. 2002. Schauplatz Irak. Hintergründe eines Weltkonflikts. 1. Aufl. Herder, Freiburg.
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  • Kaddor, Lamya. 2015. Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen. München, Berlin, Zürich.
  • Lewis, Bernard. 2003. Die Wut der arabischen Welt: Warum der jahrhundertelange Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen weiter eskaliert. 2. Aufl. Campus Verlag.
  • Metzger, Albrecht. 2005. Islamismus. eva wissen. 1. Aufl. Europäische Verlagsanstalt.
  • Napoleoni, Loretta. 2015. Die Rückkehr des Kalifats: Der Islamische Staat und die Neuordnung des Nahen Ostens. 1. Aufl. Rotpunktverlag.
  • Nirumand, Bahman. 2007. Der unerklärte Weltkrieg. 1. Aufl. Booklett.
  • Pitt, William Rivers und Scott Ritter. 2002. Krieg gegen den Irak. 3. Aufl. Kiepenheuer & Witsch.
  • Pohly, Michael und Khalid Duran. 2001. Osama bin Laden und der internationale Terrorismus. 3. Aufl. Ullstein Taschenbuch Verlag.
  • Said, Behnam T. 2014. Islamischer Staat: IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden. 1. Aufl. C.H.Beck.
  • Sansal, Boualem. 2014. Allahs Narren: Wie der Islamismus die Welt erobert. Merlin.
  • Schirra, Bruno. 2015. ISIS – Der globale Dschihad: Wie der „Islamische Staat“ den Terror nach Europa trägt. Econ.
  • Schirrmacher, Christine. 2010. Islamismus: Wenn Religion zur Politik wird. 1. Aufl. SCM Hänssler.
  • Schmid, Thomas und Frank Nordhausen. 2011. Die arabische Revolution: Demokratischer Aufbruch von Tunesien bis zum Golf. 1. Aufl. Ch. Links.
  • Scholl-Latour, Peter. 1992. Allah ist mit den Standhaften. Begegnungen mit der islamischen Revolution. 8. Aufl. Ullstein.
  • —. 1994. Den Gottlosen die Hölle. Der Islam im zerfallenden Sowjetreich. Goldmann.
  • —. 2005. Weltmacht im Treibsand. Bush gegen die Ayatollahs. 1. Aufl. Ullstein Taschenbuch.
  • Seidensticker, Tilman. 2015. Islamismus: Geschichte, Vordenker, Organisationen. 2. Aufl. C.H.Beck.
  • Thörner, Marc. 2005. Irak. Von Saddam City zu Sadr City. Die irakischen Schiiten. Lamuv.
  • Todenhöfer, Jürgen. 2011. Feindbild Islam: Zehn Thesen gegen den Hass. C. Bertelsmann Verlag.
  • —. 2013. Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden. C. Bertelsmann Verlag.
  • Waldmann, Peter, Hrsg. 2005. Determinanten des Terrorismus. 1. Aufl. Velbrück.
  • Watt, William Montgomery. 2002. Kurze Geschichte des Islam. Wagenbach.

Weblinks zum Thema
Die brüchige Macht des „Kalifats“ (nzz.ch, 31.1.2015)

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1 Kommentar

  1. Rudi Lermer 2. November 2015

    Ausgesprochen informative und anregende Gedanken und Ausführungen.
    Vielen Dank für diese Mühe, Herr Rey.
    Ein Glaube/eine Religion der/die im Mittelalter stecken geblieben ist, schafft die niedrigsten Triebe an die Oberfläche.
    Vor allem die Glaubensführer stünden in der Verantwortung, weil die Rechtfertigung einfach nicht existiert.

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